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Dr. Katharina Müller

Kontakt

E-Mail: katharina.mueller@lrz.uni-muenchen.de

 

Autorenlesungen um 1900. Knut Hamsun, Herman Bang, Selma Lagerlöf.

Autorenlesungen stellen einen marginalisierten, aber konstituierenden Bestandteil von Autorschaft um 1900 dar. Die Neuaspektuierung der literarischen Praktik bei Knut Hamsun, Herman Bang und Selma Lagerlöf leistet sowohl eine Weiterführung biografistischer Arbeiten als auch eine Akzentverschiebung vom literarischen Text auf Handlung und kulturelle Zirkulation.

Die Arbeit fragt zunächst nach der Geschichte, den unterschiedlichen Ausprägungen und den Kontexten dieser Praktik, um dann in systematisch-komparatistischen Studien unter Berücksichtigung historischen Quellenmaterials die Lesungen der drei prominenten Autor*innen zu rekonstruieren und zu analysieren. Die Lesungen werden dabei in zeitgenössischen Diskursen und im literarischen Umfeld verortet. Es wird gezeigt, dass die Herausbildung moderner Autorschaft durch spezifische Formen medialer Inszenierung bedingt ist. Die Praktik Lesung macht dabei in unterschiedlichen Realisierungsformen und Funktionalisierungen einen wesentlichen Bestandteil der jeweiligen Autorenkonstruktion aus.  

Bei Knut Hamsun zeigt sich die Praktik als Strategie zur Selbstexponierung, da sich bei ihm die Lesungen gezielt zum ›Machtkampf‹ im Feld funktionalisieren lassen. Herman Bang bewegt sich mit seinen Auftritten auf der Schnittstelle zwischen Vortrags-, Körper- und Schauspielkunst und nutzt das innovative Potential der Praktik. Die (Hetero- und Auto-)Stilisierung Selma Lagerlöfs als Bewahrerin einer oralen Tradition muss mit einer kritischen Bewertung der Idee des Authentischen einhergehen. An ihrem Beispiel zeigt sich auch, wie die die Praktik des Vorlesens/Vortragens wiederum ästhetische Konsequenzen für die Textproduktion hat. Für alle drei Autor*innen gilt, dass die Praktik nur in Konvergenz von Medialität, Korporalität und sozialem Feld beschreibbar ist.

Der Einbezug von Texten über Lesungen mit (auto-)biografischen Bezügen in unterschiedlicher Abstufung zeigt, dass die performativen Eigenschaften der Praktik sich gerade nicht als Widerspruch zum Textparadigma, sondern als produktiv erweisen. Sowohl Literarisierungen als performative Praxis bei Bang und Hamsun als auch Mündlichkeit als Schreibstrategie bei Lagerlöf demonstrieren aus praxeologischer Perspektive die Wechselwirkungen von ›doing‹ und ›writing culture‹. In medial-praxeologischer Hinsicht ist, auch in Bezug auf andere literarische Praktiken um 1900, auffällig, dass dem Sprechen als Leitmedium eine solche Bedeutung zukommt, dass von einer Phase der Re-Oralisierung von ›Literatur‹ um 1900 gesprochen werden kann.

Projekthomepage: http://www.uni-koeln.de/phil-fak/nordisch/litprax/index.html